Bernina- Nähmaschinen

Fritz Gegauf, 1860 —1926, Erfinder und erster Hersteller von Hohlsaum-Nähmaschinen


Ansprache 1937 und Thurgauerlied mit dem Männerchor Frohsinn

Berninalied 1937 mit der Belegschaft und dem Männerchor Frohsinn


Der Aussichtspunkt oberhalb von Steckborn, das sogenannte «Eichhölzli», zwingt so manchen Passanten zu einem kurzen Halt, denn bezaubernd ist von dort der Blick auf den Untersee mit seinen lieblichen Gestaden.
Wer jedoch zur Nachtzeit im Winter vom Seerücken her nach Steckborn fährt und für kurze Zeit am «Eichhölzli» anhält, könnte beinahe glauben, im Untersee einen grossen Ozean­dampfer zu sehen. Doch die vielen hellerleuchteten Fenster gehören nicht zu einem vor Anker liegenden Schiff; hinter ihnen wird tüchtig gearbeitet; viele fleissige und geschickte Hände sind dort am Werk. Der ganze Gebäudekomplex gehört zur Bernina-Nähmaschinenfabrik, die ihren Anfang im Jahre 1893 in den Mauern des ehemaligen Zisterzienser- Nonnenklosters in Steckborn genommen hat.
Fritz Gegauf, von Beruf Mühlenbauer, Sohn eines Landarztes von Wahlwies, das etwa 30 Kilometer nördlich Steckborn liegt, kam schon mit 20 Jahren nach Rorschach zur Firma Georg Baum, welche Stickmaschinen zum Besticken von Taschentüchern baute. Im Auftrage dieser Firma ging er häufig ins Ausland, so nach Irland, Frankreich, Italien und Nordamerika, und zwar in jene Gegenden, wo ebenfalls, wie im Kanton St. Gallen, die Stickereiindustrie zu Hause war. In Nordamerika machte er seine erste Erfindung, den Monogramm-Stickapparat.
Im Jahre 1886 kehrte Fritz Gegauf nach der Schweiz zurück und erlebte, wie so mancher Erfinder, bittere Enttäuschungen, denn die Stickereifabriken wollten von seiner Erfindung nichts wissen.

Überzeugt von der Bedeutung seines Stickapparates, eröffnete er in den ehemaligen Räumlichkeiten des Klosters Steckborn einen eigenen kleinen Stickereibetrieb. Bald waren die Erfolge, die Gegauf mit seinem Apparat erzielte, im ostschweizerischen Stickereigebiet bekannt, und nachdem er erreicht hatte, was er wollte, liess er den eigenen, inzwischen vergrösserten Stickereibetrieb eingehen und schuf sich eine gut eingerichtete mechanische Werkstätte, um die vielen Stickerei-Fabrikanten, die anfänglich seine Erfindung verkannten und ablehnten, mit seinem Monogramm-Stickapparat beliefern zu können.
Damals gab es sozusagen keine Stickarbeit ohne Hohlsaum. Ein bedeutendes Stickereiunternehmen in St. Gallen, das inzwischen eine grosse Anzahl Stickmaschinen für den Gegauf- Stickapparat umbauen liess, stellte dem jungen Erfinder die Aufgabe, eine Nähmaschine zu konstruieren, mit der Hohlsäume rascher und billiger hergestellt werden können.
Kaum zwei Jahre später, im Frühling des Jahres 1893, konnte Gegauf in St. Gallen einer grossen Anzahl Stickerei-Fabrikanten seine erste Hohlsaum- Nähmaschine, die zugleich die erste der Welt war, vorführen, und damit begann für Steckborn die Nähmaschinenfabrikation. Diese neuartige Nähmaschine, die mit zwei Nadeln, die jede für sich eine Bewegung ausführte - ähnlich wie bei einer Zickzackmaschine - und mit zwei Schiff­chen arbeitete, fand ein überaus grosses Interesse, und es dauerte nicht lange, und schon gingen auch vom Auslande Aufträge auf die Gegauf-Hohlsaum-Nähmaschine ein.
Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ewiger Bund zu flechten, und so sah sich Fritz Gegauf nach dem grossen Brand im Jahre 1895, dem fast alle Gebäulichkeiten des ehemaligen Klosters zum Opfer fielen, gezwungen, seine kaum begonnene Nähmaschinenfabrikation in einer Scheune im Städtchen wieder aufzubauen. Schon bis zur Jahrhundertwende waren die Gegauf- Hohlsaum-Nähmaschinen in der ganzen Welt bekannt.
Um den technischen Fortschritt zu halten, wurden im Laufe der Jahre immer wieder neue, noch bessere, leistungsfähigere Modelle entwickelt. Warum Fritz Gegauf als Deutscher in der Schweiz und ausgerechnet in Steckborn sein Lebenswerk begann, kann bestimmt mit einer Episode aus dem Leben seines Vaters in Zusammenhang gebracht werden.

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TG 1  das Auto von F. Gegauf


Der Landarzt Dr. Gegauf von Wahlwies war ein Freidenker oder Freischärler, wie man sie damals nannte, und als solcher ein initiativer, bekannter Förderer der ums Jahr 1848 geplanten badischen Republik. Die Geschicke waren dieser föderativen Gruppe nicht hold, und so kam es, dass Dr. Gegauf in die nahe Schweiz flüchten musste. Bei seinem Studienkollegen und Gesinnungsgenossen, dem damaligen Alt-Bundesrat Deucher in Steckborn, fand er brüderliche Aufnahme. Soviel zum Zusammenhang, warum Fritz Gegauf dort seine Existenz aufbaute, wo seines Vaters politische Gesinnung zu Hause war. Eine besondere Ehre durfte Fritz Gegauf erfahren, als ihm die Gemeinde Steckborn im Jahre 1907 das Schweizer Bürgerrecht verlieh. Er starb als einer der Pioniere der Nähmaschinenindustrie im Dezember 1926. Sein Name ist unter der Bezeichnung «Gegaufen» zu einem Begriff geworden, und seine Erfindungen haben grosse Beachtung in der ganzen Welt gefunden.
Seine beiden jüngeren Söhne, Fritz und Gustav Gegauf, übernahmen in der Folge die Weiterführung seines Werkes unter der Firma Fritz Gegauf Söhne.

Da die Räumlichkeiten im Städtchen zu eng geworden waren, wurde im damals ebenfalls sehr kalten Winter 1928/29 der bauliche Anfang zur heutigen grossen Fabrikanlage gelegt, die seither in elf Bauetappen, die letzte in den Jahren 1961/62, auf die heutige Grösse gebracht worden ist.

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Wer hätte geglaubt, dass die Hohlsaum-Nähmaschine, mit der Wäschegarnituren und vieles andere mit Hohlsaum reich geziert wurden, nach kaum 40 Jahren ihre Bedeutung und ihre Existenzberechtigung verloren haben würde. Die Kunstseide, beziehungsweise die Verlagerung der Mode auf dieses neue Gewebe, das sich zum Nähen von Hohlsäumen nicht eignete, hat die Hohlsaum-Nähmaschine verdrängt.
Hier haben wir ein eklatantes Beispiel, wie die Technik sozusagen von einem Tag auf den anderen grausam die schönsten Pläne und Perspektiven über den Haufen wirft. Dieser Umstand und die sozusagen gleichzeitig über Europa hereingebrochene Wirtschaftskrise, die auch die Nähmaschinenfabrik in Steckborn nicht verschonte, erforderte dringende Massnahmen. Der neuerstandenen, für die damaligen Verhältnisse gut eingerichteten Fabrik konnte nur ein neuer Fabrikationsartikel die Vollbeschäftigung wiederbringen.

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Fritz II. Gegauf                                Fritz III. Gegauf

Mit Rücksicht auf den Umstand, dass zu jener Zeit die Schweiz jährlich gegen 20000 Haushalt- Nähmaschinen, vorwiegend aus England und Deutschland, einführte und die Firma Gegauf bereits reiche Erfahrung in der Konstruktion und Fabrikation von Nähmaschinen besass, entschloss sich die junge, zweite Generation, Haushalt-Nähmaschinen zu fabrizieren. Um der neuen Haushalt- Nähmaschine ein echt schweizerisches Gepräge zu geben, wurde sie auf den Namen «Bernina» getauft. Wie rasch die Bernina an Bedeutung gewann, beleuchtet am besten die Tatsache, dass im Laufe von wenigen Jahren die grössten und besten Nähmaschinen-Fachgeschäfte in der Schweiz der Bernina-Organisation angehörten und die Bernina bald zur meistgekauften Nähmaschine der Schweiz zählte.
Der fortschrittliche Geist der Bernina- Fabrik zeigte sich schon um die Mitte der dreissiger Jahre durch die Schaffung der ersten schweizerischen Zickzack-Nähmaschine. Der grosse Aufschwung für die Bernina begann jedoch im Jahre 1943 mit ihrem neuen Modell, der ersten elektrischen Freiarm-Zickzack- Nähmaschine der Welt. Die Bernina-Nähmaschinenfabrik verfügte über eine der modernsten und leistungsfähigsten Fabrikationsanlagen sowie über einen grossen Stab von erfahrenen Fachleuten und Mitarbeitern. Über 1400 Arbeiter und Angestellte arbeiteten dort unter günstigen sozialen Verhältnissen.

Bernina- Gasballon 1959

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Ballontaufe

Film von Dr. Attenhofer

Was zur Herstellung einer Zickzack-Nähmaschine gehörte, davon machen sich nur diejenigen ein richtiges Bild, die Gelegenheit hatten, die Bernina-Werke zu besichtigen. Die Bernina- Record zum Beispiel war aus über 1000 Teilen zusammengebaut, für deren Herstellung 1500 modernste Werkzeugmaschinen und Einrichtungen zur Verfügung standen. Das Geheimnis der Nähmaschinenfabrikation lagt aber nicht in erster Linie in der riesig grossen Zahl von Werkzeugmaschinen, sondern vielmehr in den Hilfseinrichtungen, die zum Bohren, Fräsen, Schleifen und Drehen der Rohmaterialien nötig waren und die man nicht im Handel käuflich erwerben kann. Nur beste Fachleute, in engster Zusammenarbeit mit langjährig geschulten, erfahrenen Konstrukteuren, sind in der Lage, jedes einzelne Stück so zu gestalten und zu fabrizieren, dass höchste Präzision und grösste Lebensdauer bei kleinsten Herstellungskosten gewährleistet sind. Die Bernina- Werke verfügten über viele tausend solcher selbstkonstruierter Hilfseinrichtungen, von denen jede einzelne eine grössere oder kleinere Erfindung darstellt. Ein grosser Teil der Belegschaft war mit der Kontrolle der Teile, die nach jedem Arbeitsgang vorgenommen wird, beschäftigt. Modernste Messeinrichtungen, die gestatten, Differenzen von einem tausendstel Millimeter festzustellen, bildeten in der Bernina-Fabrik ein wichtiges Glied. Neben mehreren Konstruktions-Büros steht dem Unternehmen eine Forschungsstätte zur Verfügung, die den ständigen Fortschritt und damit dem Werk auch für die Zukunft die Arbeit sichert.